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Arbeitskreis Eisenbahngeschichte Südostniedersachsen

Betrieb

Der Haltepunkt Lelm (1907 bis 1976)

Die Eisenbahnstrecke von Braunschweig nach Helmstedt ging am 01.06.1872 in Betrieb. Der Haltepunkt ( Hp ) Lelm bei Bahnkilometer ( km ) 27.235 erst 1907. Auf Antrag des damaligen Pastors Böhnig und einiger interessierter Einwohner eingerichtet. Die Abfertigungsbefugnisse wurden wieder aufgehoben am 1. Januar 1960 für Stückgut, 28. September 1975 für Gepäck und Expressgut, 26. September 1976 für den Personenverkehr. Im Volksmund sprach man immer vom “Bahnhof”. Da jedoch keine Weichen vorhanden waren, ist es nur ein Haltepunkt mit Blockstelle und Schrankenposten gewesen.

Das Stationsgebäude wurde als eingeschossiger Fachwerkbau mit einem Flachdach ausgeführt, die Beleuchtung erfolgte mit Gaslaternen. Daneben in Richtung Schranke stand bis ca. 1955 ein kleiner Schuppen für Stückgut. Am Bahnsteig nach Helmstedt war ein kleines Sperrenhäuschen. Dort befand sich auch der höhengleiche Übergang. Zwischen den beiden Gleisen war eine Barriere, um das unkontrollierte Überschreiten der Gleise zu verhindern. Es gehörte auch ein Schuppen mit Toilette zum Haltepunkt. Auf dem Bahnsteig in Richtung Braunschweig befand sich für die Reisenden ein Wartehäuschen, zuletzt nur noch eine Sitzbank ohne Wetterschutz.

In dem ältesten, vorliegenden Fahrplan, “Storm - Kursbuch fürs Reich”, Winter 1927 / 28 - gültig vom 2. Oktober 1927, sind folgende Abfahrten zu finden:

In Richtung Braunschweig:
AbfahrtzeitZugHinweise
05:11304 
05:58298nur werktags bis Königslutter
07:22306 
10:59308 
13:29300 
15:05312nur werktags bis Königslutter
17:46314 
21:03316 

In Richtung Helmstedt:
AbfahrtzeitZugHinweise
06:32299nur werktags bis Königslutter
07:32321 
08:31301nur werktags bis Königslutter
11:01303 
14:00305 
17:22309 
21:09313 
00:30317 

Die auf der Station Lelm haltenden Züge führten nur Wagen mit der Klasse 2 – 4.

Zu Beginn fuhren nur Züge mit Dampfloks. Der Eisenbahnbetrieb und die Streckensicherung (wie Schranken auf und zu kurbeln, Signale stellen) geschah noch mit recht einfacher, mechanischer Technik. Somit waren der Betrieb und auch die Instandhaltung der Anlagen sehr personalintensiv. Dadurch wurden viele Arbeitsplätze neu geschaffen. Es waren auch entlang der Strecke viele Handarbeiten zu verrichten, z. B. Seilzugleitungen der Signale und die Schrankenmechanik schmieren, Lampen abnehmen, reinigen, Petroleum nachfüllen, anzünden bei Anbruch der Dunkelheit und wieder aufhängen, Gleisunterhaltung mit Vegationskontrolle u.v.a. mehr.

Neben dem Personenverkehr wurden auch Güter per Bahn verschickt oder gebracht. Das waren zur damaligen Zeit Getreide, Kartoffeln in Säcken, Butter in Fässern, Kleinvieh, Möbel, Stückgut, Pakete. Das Be- und Entladen geschah zumeist mit Muskelkraft und hauruck. Paletten und Hubwagen waren noch nicht verbreitet. Am Hp Lelm war keine Laderampe vorhanden; somit mußten die Ladevorgänge unter Zeitdruck direkt an den Gleisen vom Zug erfolgen.

Die “Bahner” genossen großes Ansehen. Sie waren keine Großverdiener, hatten jedoch über das ganze Jahr ein gleichmäßiges Einkommen. Damals waren viele Arbeitsplätze in der Landwirtschaft oder auf den Baustellen von der Jahreszeit abhängig. Man konnte die besagten Bahner an ihrer Uniform immer sofort erkennen, die oft auch in der Freizeit getragen wurde, selbst sogar als Pensionär noch. Waren es nicht die neuen Uniformen, dann wurden die alten aufgetragen, bis es nicht mehr ging; die damalige Zeit zwang zur Sparsamkeit.

Älteren Lelmern sind sicher noch die nachstehenden, alten “Bahner” bekannt: Wilhelm Pape, Heinrich Ehlers, Willi Rademacher, Wilhelm Dürrkopp, Emil Jahns, August Stegemann, Wilhelm Regener (alle verstorben) und Erich Stegemann.

Der Bahnhof Lelm und der Posten 14 waren immer “rund um die Uhr” bei Tag und Nacht besetzt. Der Posten 16 nur am Tage, wenn es der landwirtschaftliche Verkehr erforderte. Die Posten wurden steigend in Richtung Helmstedt gezählt. So war der Posten 14 (25) bei km 25.707 in der Nähe von Sunstedt. Am parallelen Feldweg zur Kreisstraße 9 (-K9-) von Sunstedt (B1) nach Rottorf. Bevor der Hp Lelm an der Reichs(Bundes)straße 1 eingerichtet wurde, war dieses der Posten 15. Der Posten 16 (28) lag bei km 28,730 am "Lagewege" von Lelm, vorbei am Wobkenberg zum Hagenberg, südlich der B1. Zum Ende der Streckenüberwachung mittels Posten erfolgte noch eine Umbenummerung dieser, es wurde nicht mehr durchlaufend von West nach Ost gezählt, sondern in Anlehnung an die Streckenkilometrierung, entsprechend den in Klammern gesetzten Zahlen hinter den Postennummern.

1960 durchfuhren ca. 130 Züge diese Strecke täglich, 1980 waren es schon ca. 180 Züge, heute sind es über 200 Züge täglich, darunter modernste ICE und IC / EC / IR – Einheiten. Etwas ruhiger geworden ist es mit Inbetriebnahme der modernisierten Konkurrenzstrecke im Fernverkehr, Berlin – Stendal – Wolfsburg – Lehrte, weil ein Teil des Fernverkehres über diese Linie geleitet wird.

Die große Modernisierung begann zeitgleich mit dem Einsatz von Triebwagen und Diesellokomotiven nach 1960. Diese Fahrzeuge wiederum verschwanden nach der Elektrifizierung 1976 der Strecke Braunschweig – Helmstedt. Auch die alten Blockstellen wurden entfernt, die markanten Formsignale entfielen, die klassichen Schranken wurden durch automatische Halbschranken ersetzt. Mit dem Fahrplanwechsel zum Winter 1976 / 77 wurde der Bahnhofsbetrieb eingestellt, das Bahnhofsgebäude abgerissen. Im Zuge des Ausbaues und teilweiser Umlegung der Bundesstraße 1 wurden die Gleise überbrückt und die den Straßenverkehr behindernden Schranken konnten endgültig entfallen. Die Brücke wurde im Oktober 1989 eingeweiht und dem Verkehr übergeben. Damit war der Bahnhof Lelm endgültig verschwunden. Geblieben ist nur das Doppelwohnhaus direkt nördlich an der Strecke, was sich schon seit längerer Zeit in Privatbesitz befindet.

Lag der Bahnhof Lelm von der eigentlichen Ortschaft gut 1,5 km entfernt, wurde er doch gut angenommen, als es die Alternative Individualverkehr, sprich das eigene Auto, noch nicht gab. Der Weg wurde zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt. Etliche Generationen “Lelmer” und sicher auch Sunstedter hatten den Weg bei Wind und Wetter beschritten und sicherlich häufig, wenn man zu spät dran war, auch in rekordverdächtiger Olympiazeit.

Gerhard Tost und Heinz – Jürgen Weist

Quellen: Beiträge zur Geschichte eines Dorfes - Hans Decker ( 1971 ), 1000 Jahre Lelm – Ein Dorf stellt sich vor ( 1983 ), Die Eisenbahn in und um Königslutter, Festschrift 25 Jahre Eisenbahnfreunde Königslutter ( 1995 ), Historische Karte, Lelm - Nordost 1953, Maßstab 1 : 5 000 , Mündliche Berichte aufgeschrieben von Gerhard Tost im April 1998 von: E. Brand, Räbke - U. Uhde, Lelm - W. Regener, Lelm Abfertigungsbefugnisse ( ehem. Sammlung von Günter Wegner )